Wer hilft? Meistens keiner.

Gestern ging ich die Hauptstraße Richtung Shari´ati hinunter, weil ich in unserer neuen Wohnung die Lackierung des Parketts aussuchen sollte und dafür ein Taxi dorthin brauchte. Ich sah einen Mann am Kantstein des Bürgersteiges oder was man dafür halten soll auf dem Boden hocken, mit einem Bündel Klamotten zwischen seinen Beinen und einer Packung Nitroglycerin darauf.

Nein, kein Terrorist, ein Kranker.
Alle Passanten gingen vorbei, obwohl er hilfesuchende Gesten machte. Ich fragte ihn, ob ich helfen könne, aber er konnte nicht sprechen, hielt sich nur die Brust. Aber er bedeutete mir, vom Kantstein wegzuwollen zum fünf Schritte entfernten Hauseingang. Von den Nitro-Kapseln aus der Blisterpackung hätte er schon genommen. Ich half ihm hoch, was nicht ganz einfach war, trotzdem hielt keiner an, um ebenfalls behilflich zu sein. Der Hauseingang führte zu einer Apotheke. Dort setzte ich ihn auf einer Treppenstufe ab, ging rein, um um Hilfe zu fragen. Die Frau hinterm Tresen sagte nur, sie sei kein Arzt. Ob sie jemanden anrufen könnte? – Gegenüber im Hauseingang sei eine Arztpraxis. Ich hin, aber es machte keiner auf. – In der Zwischenzeit hatte sich mein Schützling soweit berappelt, dass er mir bedeuten konnte, Wasser zu wollen. Das konnte die Apothekerin denn wenigstens besorgen. Ich blieb noch eine kleine Weile, bis der Angina-Pectoris-Anfall offensichtlich besser war, hörte mir noch an, dass er aus einer anderen Stadt käme, und kein Geld habe. Schließlich machte ich mich auf den Weg zu unserem Haus, nachdem ich ihm noch 5.000 Tuman in die Hand gedrückt hatte.
Hier muss jeder für sich selbst sorgen, wenn er keine Familie hat, die ihn auffängt.
Ich erinnere auch eine Situation, die vor knapp einem Jahr war, als ich noch die Stadt erkundend durch die Straßen lief: Da stolperte eine ältere Tschadori-Frau über einen zu lang abgekniffenen Metallhaken im Asfalt, schlug lang wie ein Brett hin, trug einige Schürfwunden davon und schlug sich die Schneidezähne kaputt. Ein paar Stückchen fand ich noch auf dem Gehsteig. Ich war sofort zur Stelle, um ihr aufzuhelfen, aber ich merkte, dass sie das eigentlich nicht wollte. Schließlich war ich ein Mann, der sie gar nicht berühren darf. Eine Passantin nahm sich ihrer dann an.
So ähnlich sah ich mal, das eine ältere Frau zwischen Autos auf der Straße stolperte und Mühe hatte, wieder hochzukommen. Die Männer, die daneben standen, taten nichts ausser ihre Sachen bereitzuhalten, bis sie sich wieder berappelt hatte.
Steffi sagte, die selbstlose Hilfe ist im Islam einfach nicht angelegt, und trotzdem fühlen sich immer alle schuldig. Aber ganz so stimmt das nicht, die Gabe von Almosen gehört schon dazu. Aber vieles geschieht eben, und es gibt kein Entrinnen.
Erklären würde dies Verhalten, dass man für den, dem man hilft, verantwortlich ist und schließlich für die Krankenhausrechnung und mehr aufkommen muss. Aber das ist nicht verbrieft.
Manchmal sehen wir im Stau Krankenwagen, die auf dem Weg zu einem Krankenhaus sind. Weil es keine Rettungsgasse gibt (alle fahren so dicht auf, wie es geht, damit ja keiner einem den Platz wegnimmt), steht der Rettungswagen ungeachtet des Blaulichts und Martinshorns so lange, bis wieder Bewegung in die Schlange gekommen ist, und etwas Platz zum Durchkommen geschaffen wurde.
Ich fragte in so einer Situation Freund Reza einmal, was denn mit den Kranken sei, die wirklich dringende Hilfe bräuchten. – Lapidare Antwort: Der muss dann sterben, Gott hat es so bestimmt. Und es gibt so viele Menschen hier…
Da hat er ja nun auch wieder Recht.

Ramazan

Seit gestern sind wir tatsächlich schon ein Jahr in diesem Land. Und worüber schreibe ich jetzt? Wir kennen doch schon alles.
Aber jetzt ist Ramazan, was der islamische Fastenmonat ist. Nee, kein Druckfehler, hier heißt es nicht Ramadan. Es bedeutet, dass von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang keiner, der nicht Kleinkind, schwanger, menstruierend, krank oder auf einer Reise, die weiter geht als 40 km (sicher auch ´ne Regel aus Vor-Automobil-Zeiten), also dass so jemand, der das nicht ist, auch den ganzen Tag nicht essen darf. Letztes Jahr begann der Fastenmonat Anfang September – jedes Jahr ist er, da er nach dem islamischen Kalender berechnet wird, 11 Tage früher. Was jetzt misslich ist, da er Jahr für Jahr immer weiter in den Sommer fällt. Und es ist schon warm!
Ach ja, vergessen: Rauchen darf man auch nicht. Ich glaub, Sex ist auch verboten. Und TRINKEN sowieso. Und wie die Leute das ohne Flüssigkeit den Tag über aushalten, weiss ich nicht.
Am ersten Tag des Ramazan war ich auf dem Nachhauseweg über den Bazaar von Tajrish gegangen und ich hatte etwas Hunger, also kaufte ich mir eine Piroschki, so´n Fettgebackenes mit Fleischfüllung, kriegte es in einer kleinen Plastiktüte gleich mit Ketchup in der Tube. Ich hatte plötzlich richtig Hunger, also schnabulierte ich das im Gehen weg.
Als ich abends mit unseren Nachbarn sprach, fiel es mir ein, dass ja keiner in der Öffentlichkeit essen darf und dass ich das ja auch nicht durfte und verstand jetzt auch die verständnislosen Blicke der Passanten.
Amin erzählte, ich solle das doch in Zukunft lieber lassen. Ob mir was passieren könnte? Naja, die Polizei könnte mich schon mit zur Wache nehmen und etwas länger befragen. Aber als Xareji=Ausländer würde ich nicht eingesperrt werden.
Hat aber gut geschmeckt.
Es ist wie mit den Kopftüchern, alle Frauen müssen die Dinger tragen, wenn sie älter als 9 sind; jeder muss fasten, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Hier ist wieder mal die Zweigesichtigkeit der Perser zu beobachten: zu Hause machen sie, was sie wollen…
Blöd ist, dass man natürlich auch kein Essen tagsüber im Deliveryservice bekommt. Da muss man sich sein Butterbrot mittags eben selber schmieren.
Aber wenn es gegen Sonnenuntergang geht, dann sind alle geschäftig unterwegs, um für das nächtliche Festmal einzukaufen, und der Geruch der metabolischen Azidose ist überall zu riechen.
Fastenspeise (süßer Pudding) wird aus großen Töpfen in Plastikeimern verkauft, leckere süße und saure Früchte gibt es überall. Und spezielle Backspeisen, die es sonst nicht zu kaufen gibt.
Als ich anschließend im Bus saß, saß eine Frau, die vielleicht die Mutter des neben ihr sitzenden jungen Mannes war, im vorderen Teil des Busses. (Frauen sind immer hinten, Männer immer vor der Mitteltür. Das ist bloß andersrum, wenn der Busfahrer eine Busfahrerin ist. Im Taxi sitzen alle, wie sie wollen, und getrennte Fahrstühle hab ich auch noch nicht gesehen…)
Und als der Busfahrer losfahren wollte, entdeckte er SIE! Er laberte so lange, bis sie sich nach hinten setzte. Und ich dachte, dass die Sache mit den Frauen in Ahmadi-Nejads Regierung, welche die Mullahs nicht dulden wollen, bloß so eine Obere-Ebene-Diskussion wäre. Man kann nur hoffen, dass Chamenei sich nicht dazu äußert, dann wird es wohl stillschweigend hingenommen. Als Frau hat Mann es bisher noch nicht so besonders gut hier.

Die noch nicht reifen Granatäpfel sind aus unserem zukünftigen Garten, die sauren Namenhabichvergessen werden mit Salz gegessen, und die crepeartigen Dinger mit dem Überzug wie ein Wundverband sind mit Zimt und Mandelsplitter gefüllt.Die Jungs sind von der Metro-Baustelle, kurz vor Sonnenuntergang, die Kollegen sind wohl gleich mit Kochen fertig, das Brot wird grade rangeschleppt, und dann wird gefeiert.
Und ich leg mich jetzt auch auf mein rotes Sofa. Oder setz mich mit meinen Freunden und der Familie auf die Straße und speise unser Festmahl.

Verstand? Fehlanzeige. Aber Glück!

Seit wir in Iran zurück sind, suchen wir eine neue Wohnung für uns, weil wir in unserem Eckhaus ohne Garten und an einer Hauptstraße gelegen nicht glücklich waren. Diverse Makler haben wir in den letzten Tagen gesehen und gesprochen, meist auf Englisch. Und haben die Vorstellung, wie wir zu leben zu haben, in deren Köpfen geradezurücken versucht.
Gestern hatten wir einen dabei, der KEIN Englisch spricht, und auch da klappte es recht gut, klarzumachen, was wir uns wünschen. Immerhin zeigte er uns heute morgen das Beste, was wir während unsrer Suche überhaupt gesehen hatten.Und dann rief uns der Vater eines von Steffi´s Schulkindern an: wir hätten doch vor 2 Monaten mal darüber gesprochen, dass wir eine Wohnung suchen würden. Ob das denn noch der Fall sei? Sein Schwiegervater hätte jetzt eine Wohnung zu vermieten. Wann wir uns treffen können? Heut nachmittag wäre gut.
Und das ist ein Foto von der Rückseite. Wir werden den linken breiteren Teil im Obergeschoss bewohnen, können aber den Garten nutzen (Granatapfel- und Feigenbäume, Weintrauben, Rosmarin) und es hat einen Pool!

Es hat ca. 210 qm mit 3 Schlafzimmern, einem Vollbad, einem Duschbad und Gäste-WC, ein sog. Seat, wo man nichtrepräsentativ sitzen und rumlümmeln darf, ne große Küche und ein Riesenwohnzimmer. Ungewöhnlich für persische Wohnungen: Parkettboden in allen Wohnräumen. Und bevor wir einziehen, soll alles noch gemalt und eine neue Küche eingebaut werden.
Das einzige Blöde ist, dass die Kinder nicht mehr zur Schule gehen können.
Ach, hätten wir nur etwas Sekt zum Anstoßen…

Pause vorbei

Nach 4 Wochen, die wir in unserem eigenen Haus in D verbrachten, sind wir jetzt schon wieder ein paar Tage in THR. Schön war es schon.
5 Stunden Flug direkt von HH nach Tehran, und als wir um 22:00 das Flugzeug verließen, empfingen uns angenehme 33° C (bei max 15% Luftfeuchtigkeit) und das übliche Gewirr von Menschen und Maschinen. Wir freuten uns direkt, als wir um ca. 23:00 wieder einen Motorradfahrer mit Frau aufm Sozius und 3jähriger Tochter auf dem Tank an uns vorbeirasen sahen.

Wir hatten in der Schule darum gebeten, von einem Schulbus abgeholt zu werden. Unser Gepäck betrug nämlich fast 11 Fullsize-Koffer mit einem Gesamtgewicht von 182 kg (plus Handgepäck).
Was drinnen war, möchtet ihr wissen? Ihr Naseweis, ihr … Na, das kommt später im Jahr.
Aber einiges von dem, was es hier nicht oder nur selten gibt, wird verraten:
Haferflocken 5 Kilo (Es gibt nur Gersten- und Weizenflocken)
10 x Shampoo für BLONDES Haar,
6 x Nusspli, (es gibt zwar Nutella, aber das kostet 4 €/Miniglas)
Lakritze div. Sortierungen und WEINgummi
und na klar Mettwurst und Schinken und andere SCHWEINereien.
Und deutsche Bücher, vor allem für die Kinder und die Schule. Amazon liefert nämlich nicht in den Iran.
Mit den Dingen, die man hier nicht oder nur schwer bekommt, ist es natürlich wie mit allen Mangelwaren – sie sind teuer. Wein wie von Aldi für 1,59 € gibt es hier auch. Man ruft einen armenischen Christen an, der für die Religionsausübung Alkohol besitzen und konsumieren darf. Der kommt mit ner großen Tüte ins Haus und verkauft einem besagte Flasche für etwa 15-20 €. Da kann man für wenig mehr auch gleich harte Sachen bestellen. Die Gefahr für den Hehler ist nämlich gleich groß, Alkohol ist eben Alkohol, egal wieviel Umdrehungen er hat.
Kleine Geschichte von einer Bekannten: Sie fragte in ihrem kleinen Supermarkt ein paar mal, ob der Verkäufer ihr nicht mal etwas Alkohol besorgen könnte. Neinnein, das ginge nicht, da käme er nicht ran. Aber irgendwann – wars Freundlichkeit, Profitgier oder plötzliches Zutrauen zum regelmäßigen Kunden, wollte er doch was beschaffen. Bei den nächsten Einkäufen war er jedoch nicht da.
Und als er nach ein paar Wochen wieder da war, fragte sie ihn, wo er denn gewesen wäre. Tja, beim Versuch diese begehrte Flüssigkeit zu besorgen, fiel er der Polizei in die Hände und wurde weggesperrt. Ich glaub, sie hat ihn nicht noch mal gefragt…
Und wir halten uns damit auch zurück. Natürlich auch mit allen anderen Drogen, die einem auch schon mal auf der Straße angeboten werden.
Aber wenn man hier über das nötige Kleingeld verfügt, muss man buchstäblich auf nichts verzichten.
Für unsere Religionsausübung werden wir mit der Weinproduktion indes bald beginnen. Wir haben nämlich zwei 25-Liter Ballons geschenkt bekommen. Und aus D Weinhefe mitgebracht.
Ich will hier mal ein bisschen belehren, weil viele Fragen zu Hause kamen, die mir so selbstverständlich sind, dass ich darüber gar nicht berichtet habe:
Geld kann man natürlich auf der Bank abheben und einzahlen. Wir haben aber gar kein Konto hier, weil Steffi ihr Geld direkt in bar bekommt und ein Teil direkt nach D überwiesen wird. Aber ec-Karten oder gar Visa oder MasterCard – nutzloses Zeug. Iran ist eine Insel.
Eine Mehrwertsteuer von 3 % wird gerade diskutiert, na jetzt vielleicht ausgerechnet nicht mehr, weil es momentan andere Probleme gibt. Aber ausländische Autos kosten nahezu das Doppelte wie in Deutschland, wegen Einfuhrzöllen und Luxusabgaben. Für einen neuen Landcruiser muss man etwa 140 Millionen Toman berappen – wenig mehr als 100.000 €. So begegnen einem auch mal Mercedes und Co, von dem die Mitreisenden erzählen, dies oder jenes Modell koste 250.000€. Bei solchen Preisen verwundert es nicht, dass Luxuswagen auch noch teuer aufgepeppt werden – es ist fast wie beim Wein-Schnaps-Unterschied, wenn´s eh schon egal ist…
Aber wir wohnen mitten unter ganz normalen Iranern, soweit man sie als normal bezeichnen kann, wenn sie sich eine Wohnung leisten können, die 2000€ monatlich kostet.
Die meisten Dinge hier kosten allerdings etwas weniger als in D, wenngleich die Supermärkte in D ungeschlagen billig sind. Benzin kostet uns zur Zeit noch umgerechnet 8 Cent pro Liter, Bananen etwa einen €, Brot soviel wie 5 Brötchen 35 Cent. Milch 60 Cent. Aber 2.-Wahl Pfirsiche oder Äpfel können schon mal 3 € kosten, wofür ich in der Saison in D 99 Cent bezahle.
Natürlich trägt Steffi draußen IMMER ein Kopftuch. Auf dem Schulgelände kann sie es abnehmen, da dort exterritoriales Gebiet ist. Die Kinder reisen quasi jeden Schultag aus.
Anfangs hat sie den Hejab mal vergessen, aber sie kam nie weit. Nicht, dass jemand sie angesprochen wurde, die Gesichter selbst von kleinen Jungen waren so entgeistert, dass sie schnurstracks wieder umkehrte.