Baustellen II

Das Haus neben unserer Wohnung ist, seit wir einzogen, leer, und vor etwa einem Monat wurde angefangen, es abzureißen. Nicht etwa, dass eine große Abrissbirne kommt und alles klein haut, nein, Stück für Stück wird alles in Handarbeit abgebaut. Metallträger werden abgeschweißt, Fenster ausgebaut, Steine von Mörtel befreit und vorsichtig auf einen großen Haufen geworfen.Natürlich ist es entsprechend laut und für uns in der kalten Zeit besonders blöd gewesen, weil die Rückwand unseres Kamins nur aus Riemchen besteht und dann auch noch Risse bekommen hat. Also pfeift uns da die Wärme nur so raus. Wir hoffen daher auf weiterhin nicht zu kaltes Wetter. Und von allen Seiten hören wir, dass es erst richtig schlimm laut wird, wenn die Ausschachtungsarbeiten beginnen, weil die nicht um 17 Uhr enden, sondern die ganze Nacht gehen und das mit schwerem Gerät.
Unser Vermieter hat uns daher schon angeboten, in seine andere Wohnung umziehen zu können. Aber bisher sträuben wir uns noch, schließlich haben wir uns hier gerade mal eingelebt.Hier sieht man, dass die Arbeiter, die meist aus Aghanistan kommen, nicht nur hier ihren Dienst tun, sondern auch auf der Baustelle leben. Das erspart dem Bauunternehmer zu der billigen Unterkunft auch noch den Wachdienst.Und dass das Wetter bei uns auch nicht immer toll ist, beweise ich mal mit diesem Bild.Aber die Regel ist doch dies ;-))Wenn ein Haus andere überragt, kann man es wunderbar für Propaganda gebrauchen. Die Übersetzung stimmt wieder nicht ganz, es steht „Tod den U.S.A“ an der Wand.Möglichst naturgetreu sind die Darstellungen heutzutage und zeigen meist eine geschönte Phantasiewelt. Die Wandgraffiti werden von Kunststudenten gemacht, die dadurch vermutlich Vergünstigungen erhalten.Wenn man näher hinschaut, sieht man auch hier die Baumängel unter der Farbe durchkucken.Auf vielen Häusern sind noch aus alten Tagen Gemälde angebracht, die Slogans oder/und die Konterfeis der Führer zeigen. Aber so ganz ernst nimmt man es nicht mit ihm.
Als ich letztens auf eine kleine Gesellschaft geladen war, wurde etwas gezaubert, und mir wurde ein „Grüner“= ein „Khomeini“, wie man auch sagt, abgeluchst, der vor meinen Augen gefaltet und dann ein um ein Stückchen verkleinert wurde. Wie durch Zufall war es grade die Stelle mit dem Gesicht, die nachher fehlte. Natürlich erhielt ich bei diesem Taschenspielertrick ein unversehrtes Stück Geld zurück.

Toudeshk – kennt man auch in Iran nicht

Am letzten Wochenende waren die Zeremonien des 31. Jahrestags der Revolution, und es wurde gemutmaßt, es würde eine Wiederholung der damaligen Ereignisse geben. Wir wissen jetzt, dass es doch nicht dazu kam. In den Moscheen liegen Flugblätter aus, auf denen Leute zu sehen sind, die beim letzten Marsch mitgelaufen sind. Die Gesichter sind mit roten Rahmen versehen. Wenn man jemanden kenne, solle man die Personen nennen. Was mit den Denunzierten passiert, lässt sich erahnen.

Weil Steffi auf der Suche nach einem Ort, wohin wir in dieser Zeit fliehen können, den LonelyPlanetReiseführer durchstöberte, sind wir von Bus und Taxi nach Toudeshk (2300 m NN, 2000 Einw.) gebracht worden, wo es jemanden geben soll, der Reisenden das traditionelle Leben in Iran zeigt.
Mohamad, Reza, Fatemeh und deren Kinder haben in den letzten 6 Jahren etwa 300 den Iran bereisende Leute beherbergt. Die Lage von Toudeshk 90 km von Esfahan auf dem Weg Richtung Mashhad, lässt vor allem Radfahrer hier einkehren. Man wird schon von weitem von auf den Berg gemalter Schrift gegrüßt, hier wird ein Heiliger (an)gepriesen, sonst findet man vielfach Werbung für das lokale Unternehmen mit Mobile-Nummer in überlebensgroßen Lettern.
Man sieht, es ist nichts Dolles, aber das machte es für uns grade interessant. Wir zogen also bei der Familie Jalali ein, aßen und lebten mit ihnen, machten Ausflüge in die Umgebung, die Kinder spielten gemeinsam Computerspiele und Fußball.Am Wochenende sind die Wanderdünen übervölkert – so haben wir die Wüste noch nicht gesehen.Im Ort nahe der Dünen tragen die Frauen anders als sonst in Iran weiße Tschadore, so weiß man, wer hier nicht zu Hause ist.Dies ist ein Flex – so bezeichnet man hier, weil es keiner aussprechen kann, den Volkswagen. Felask (für Thermoskanne) ist ebenfalls zu schwierig, daher sagen alle Flaks. Auf dem Nummernschild steht Tehran, aber ich glaube nicht mal, dass er angemeldet und versichert ist, eine technische Prüfung hat, und ich bezweifle, dass der Fahrer einen Führerschein hat. Auf der Fahrt zu den Dünen saß Solveigh vorne bei mir auf dem Schoß (8 Personen im Auto, es ging nicht anders), als wir an der Polizei vorbei kamen, sagte Mohamad: „Kein Problem, der Polizist war mein Klassenkamerad.“ So einfach kann das Leben sein.
Die Familie, die hier lebt, macht ihr bisschen Geld mit der Herstellung von Dingen, die aus alten Reifen sind. Eimer, Satteltaschen fürs Motorrad, Wasserbehälter. M. erzählte, sie hätten bis vor kurzem noch keinen Strom gehabt und ihre Hütte und Essen mit Feuer aus Pneus gewärmt. Huh!
Der örtliche Friedhof hat selbstverständlich auch einen Friedhof, wo ein Teil den Shahids (den im Krieg gegen Iraq gefallenen jungen Männern) und ihrer Eltern vorbehalten ist.Ausflug nach Na´in, das eine schmucke Moschee aus dem 13. Jht. besitzt. Im Untergeschoss sind die Gebetsräume untergebracht, die im Winter relativ warm, im Sommer kühl sind. Es wurden sommers mal 20°C gemessen, wogegen oben mehr als 40° herrschten. Da geht man doch gleich viel lieber zum Beten…
Der Keller wird von in den Boden eingelassenen lichtdurchlässigem 10 cm dickem Alabaster belichtet. Erstaunlich, wie hell die kleinen „Fenster“ die Räume machen.
Und ein altes Fort überschaut die Stadt, von wo man einen schönen Ausblick auf die 7 Licht-Kuppeln von Na´in hat.
Wieder mal eine Prozession auf einer Straße im Nirgendwo
Bei der Nazri-Ausgabe wollte ich gern ein Foto machen und wurde gleich hinter die Theke gebeten. Arbeiten musste ich diesmal nicht.
Ein alter Felder-Bewässerungsbrunnen, der noch immer von einem Ochsen und seinem Besitzer bedient wird. Damit das Tier es etwas leichter hat, geht der Weg eine Rampe herunter.
Der Baum hier am Busbahnhof in THR ist einer dieser Leuchtbäume, der Vogel ist allerdings Natur und hat sich wohl verirrt.

Sprichwörter und mehr

Letztens war der 40. Tag nach Emam Hosseins Todestag, und da gern gefeiert wird (ob traurig oder fröhlich) tut man seinen Nachbarn zu solchen Anlässen was Gutes, wenn man es sich leisten kann. Steffi war mit den Kindern zu einem Krankenbesuch einer Kollegin, also konnte ich die Einladung eines Freundes, Nazri (so heisst das Zeug oben im Allgemeinen) zu verteilen, nur alleine annehmen. Im Speziellen heißt es Sholezard, und ist aus Reis und Safran und Rosenwasser und Zucker. Mandel-spppplitter und Cocos kommt als Schmuck obendrauf; aus Zimt werden die Namen von Heiligen draufgeschrieben (ya Ali, ya Hossein, ya Sahra… und Allah natürlich).
Der Pudding wurde von Maman gemacht, und alle Schälchen wurden in Hausarbeit gefüllt und verziert. Gewundert hat mich, was der Riesentopf gekostet hat: 120.000 T für 120 Portionen (knapp 90 €) fand ich nicht billig. Aber wahrscheinlich ist es wegen dem Safran, der hier auch Luxus ist.
Und während die Männer die Süßspeisen verteilen, machen die Frauen das Mittagessen für die ganze Familie. Adas Polo, Reis mit Linsen und Rosinen gab es. Es kamen etwa 30 Leute, und ich war echt gerührt, auch dabei sein zu dürfen. Was mich auch berührt, ist, dass die Mutter von A. mich inzwischen ihren Sohn nennt, obwohl sie schon 5 Töchter und 4 Söhne hat. (Übrigens zeigt die Mutter von A. hier nicht Victory, sondern dass sie 2.000 Tuman für eine bestimmte Zutat bezahlt hat.)Hier hatte sie mich gerade mit Esfand eingeräuchert, um die bösen Geister zu vertreiben. Normal mag ich es nicht. An der Kreuzung stehen manchmal alte Frauen oder Kinder, um einen gegen Geld geisterfrei zu machen. Da heißt es schnell die Scheibe hochkurbeln, sonst hat man Nebel im Fahrgastraum – und Myrrhe und Weihrauch ist es nicht gerade.

Am Tag danach waren wir mit etlichen anderen Ausländern und Einheimischen in Darbandsar zum Skilaufen. Es war wunderschön, Wermutstropfen war, dass sämtliche Kinder hinterher Scmerzen hatten. Mit den Mädchen musste ich heute zum Röntgen. Man ist ja doch vorsichtig (ausgerechnet jemand, der freiwillig nach Iran gegangen ist, muss das schreiben). Zum Glück war es nur eine Zerrung und ein Bluterguss im Ellbogen. Vielleicht hätten sie auch esfandiert werden müssen.

Also grad war ich in der Innenstadt, um ein neues Wörterbuch Persisch-Deutsch zu kaufen.
Ich ließ mir eines aus dem Regal geben, das ein wahrscheinlich unlizensierter Nachdruck einer von Duden herausgegebenen Ausgabe ist. Man kann sich immer nur wundern, was hier alles kopiert wird. CDs, Bücher, Filme, alles was geht.
Den Verkäufer fragte ich, wie viele Stichwörter denn in dem Buch seien, weil es außen nicht drauf stand. Und da sieht man doch, dass die Perser ein Bildungsvolk und noch dazu schlau wie Schlange sind: Er fing auf einer beliebigen Seite an zu zählen: yek, do, se, char, panj, shish….. Ich dachte schon, er wollte mich verarschen, da hatte er raus, wieviel auf einer Seite sind, schlug die letzte Seite auf, holte einen Taschenrechner raus und konnte eine halbe Minute nach meiner Frage das Ergebnis mitteilen: 29800.
Stimmt wahrscheinlich nicht aufs Wort, war aber erfrischend pragmatisch.
Jetzt lese ich darin ein wenig und möchte euch daran teilhaben lassen. Was nämlich schön ist, dass etliche Redewendungen drin sind, die die persische Seele gut beschreiben oder wenigstens die größten Probleme auflisten, mit denen man hier zu tun hat.

  1. „Wenn man wegen eines Vergehens einmal Abbitte geleistet hat, so muss man nicht noch einmal darauf zurückkommen, denn Auffrischung der Abbitte heißt Auffrischung des Vergehens.“
  2. „Wer mit eiserner Rute regiert, schafft Ordnung im Lande, gewinnt aber keine Freunde.“ (Ich glaub, die will Herr A. auch nicht)
  3. Es gibt auch einen Eintrag für „Minister ohne Geschäftsbereich“
  4. „Man hat herausgefunden, dass die Zollbeamten mit den Schmugglern gemeinsame Sache machten.“
  5. „Wenn man heute bei der falschen Partei ist, verliert man zwar nicht den Kopf, aber Nachteile bringt es schon.“ (leider ist dieser Satz nicht mehr wahr)
  6. „Als wir nach der Gasexplosion die Küche wieder betraten, wussten wir kaum mehr, was oben und unten war.“
  7. „Er hat damals das bessere Teil erwählt und ist nach Kanada gegangen. Seinen Brüdern geht es nach wie vor schlecht.“

Und dann ist da noch Taoruof, die Höflichkeitsformeln, die jedes Gespräch begleiten:

  1. Ghorbanet – ich bin dein Opfer. (sagt man meist beim Abschied)
  2. Mehman habibe xodast – Der Gast ist der Freund Gottes.
  3. Manzel-e xodetune – Es ist Ihr eigenes Haus.
  4. Cheshmhayetun ghashang mibinand – Ihre Augen sehen alles (in) schön(em Licht) (als Antwort auf ein Kompliment)
  5. Xasteh nabashid – Mögen Sie nicht müde werden! (wenn jemand eine Arbeit ausführt, die man in Anspruch nimmt)
  6. Ghabele nadare – Es ist Ihrer nicht wert, es ist nichts. (wenn man ein Geschenk übergibt, oder auch als Antwort auf die Frage, was eine Sache kostet)
  7. Xoda bad nadeh – Möge Gott nichts Böses bringen. (wenn man einen Kranken besucht)
  8. Mobarake – Möge es dir Segen bringen (als Glückwunsch, wenn man sich was neues gekauft hat, oder allgemein bei Festtagen – aber ja nicht, wenn der Todestag von irgendeinem Heiligen ist!)
und zum Schluss hab ich Straßenslang gelernt, bei deren Erwähnung bisher jedem das Lächeln ins Gesicht gezaubert wurde: Damet garm, daddash (oder obdji – Schwester) – Dein Atem sei warm, Bruder. (als Dank und Abschied)
Trotz allem können Perser auch ungemütlich werden, aber oft kommt es nicht offen vor, meistens „schneiden sie dem Feind mit Watte den Kopf ab“.

Das Problem mit den Iranern ist, glaube ich, dass sie immer gezwungen sind, zwei Gesichter zu tragen, weil sie drinnen ganz anders leben als sie in der Öffentlichkeit vorgeben. Dieser hat das zweite Gesicht unter den Skiern.