Sozial ist das nicht

Als ich vom Sport komme, erzählt Steffi, was sie im Internet über China gelesen hat. Da gibt es eine einfache Familie, deren Sohn unverschuldet einen Motorradunfall hatte, der ihn querschnittsgelähmt machte. Da das Schmerzensgeld  für den Krankenhausaufenthalt bereits aufgebraucht wurde, entschieden sich die Eltern, ihren Sohn nach Hause zu nehmen. Das Besondere daran ist, dass der gelähmte Junge nicht einmal mehr alleine atmen kann. Zwei Jahre beatmen die Eltern ihren Sohn mit einem Notfall-Luftspender, wie man sie im Rettungswagen findet. Ihre Hände verkrüppeln durch das Drücken auf diesen Beutel, bis sie eigentlich aus Schrotteilen eine Maschine bauen, die ihre Arbeit übernimmt. Das Schmieröl verpestet die Raumluft, die der Kranke einatmet, bis die Stromrechnung klarmacht, das die Eltern dafür kein Geld haben. Schließlich haben beide ihre Arbeit aufgegeben, um ihren Sohn pflegen zu können. Endlich erfährt die Öffentlichkeit von den Verhältnissen und ein Aufschrei geht durch China: Dass so etwas in unserem Land möglich ist, wo für alle für alles gesorgt sein soll.

Es findet sich ein Sponsor für eine neuentwickelte batteriebetriebene Beatmungsmaschine samt Stromkosten. Happy End. Happy End? Ein Leberkranker hat sich aus seiner Not heraus eine Blutreinigungsmaschine gebaut und macht seine Dialyse selbst. Da fallen wohl einige Menschen durch die Maschen des Sozialgefüges. Vielleicht gibt es das auch gar nicht mehr und alles ist vom Kapitammunismus hinweggespart worden.

Stippvisite

Steffi wird zu einem Bewerbungsgespräch vor Ort eingeladen. In zwei Wochen soll der Termin sein. So kurzfristig gibt es selbstverständlich keine preiswerten Flüge mehr. Mehr als 1200 Euro werden dafür fällig. Wenn man rechtzeitig bucht, kann man für wenig mehr als 500 € hin und zurück kommen. Für das Visum fällt allerdings noch mal 60 Euro an.

Von Peking hat Steffi nicht viel mitbekommen: In drei Tagen, in denen ein Bewerbungsgespräch liegt, lässt sich nicht viel entdecken. Immerhin beeindrucken sie ein paar Architekturhighlights: Der Flughafen von Sir Norman mit seiner schieren Monumentalität und der durchdachte und feine Schulbau von gmp. Und sie schwärmt von den Möglichkeiten, die die Schüler haben. Und von denen unsere profitieren werden:

Was sollen wir sagen? Als sie wiederkommt, glaubt sie die Schlacht an die Mitbewerber respektabel verloren, aber nein, der Job geht an sie! Unsere Kinder wollen es nicht mehr so ernst gemeint haben, als sie uns die Erlaubnis erteilten, eine neue Auslandsstelle zu finden. Aber da müsst ihr jetzt durch, und hinterher sagt  ihr: „War doch eine super Entscheidung.“ (Fingers crossed)

China here we come!

FÜNF IN…

In Iran war Steffi als Grundschulleiterin angestellt, die Zeit war sehr arbeitsam, aber durch die vielen Feiertage des Islam hatten wir auch viel Zeit zum Reisen. Siehe HIER

Zurück in Deutschland wurde uns unsere Heimat nicht wieder so heimisch wie wir glaubten. Jan Ingmar verband gar den Begriff Ödestan mit Good Old Germany.

Steffi hat sich auf eine Grundschulleiterstelle beworben. In Alicante. Daraus wurde nichts, denn die Bewerbung war initiativ und sie hatten keine freien Stellen. Dann fand sie eine Ausschreibung für Shanghai und eine für Peking. Einen Tag, bevor wir in den Herbstferien nach Spanien aufbrachen, war für die dortige Schule in Barcelona die Grundschulleitung annonciert. Also schnell noch eine Bewerbung losgeschickt und weiter Sachen gepackt.

Unterwegs kam die Antwort. „Gerne laden wir Sie am 15.10. 2012 in die Deutsche Schule für ein Bewerbungsgespräch ein.“

Im Urlaub, den wir sowieso nach Spanien machen wollten, war auch ein Abstecher zur Deutschen Schule Barcelona möglich. Es sollte aber nicht sein, dass wir als 5-in-Spanien berühmt werden.

Und außerdem ist Barcelona eine tolle Stadt, wenn man als Tourist kommt, aber als Stadt zum Leben ist sie einfach zu teuer.

Also verwarfen wir den Gedanken an Spanien schweren Herzens.

Vorher war jedoch bereits eine Bitte aus Peking gekommen. Ob Steffi sich mit der derzeitigen Grundschulleiterin per Skype mal unterhalten könne. Diese Anfrage kam, als wir gerade im Zelt am Laptop eMails prüften.

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Also belegten wir einen Raum im Restaurant, kauften uns mehr Onlinezeit im Campingplatznetzwerk und Steffi redete eine halbe Stunde lang mit ihr.

Nach dem Spanienurlaub  folgte eine Einladung für Steffi nach Berlin, um die Schulleiterin zum Bewerbungsgespräch zu treffen. Das lief so gut, dass ein paar Tage später eine eMail mir der Frage kam, ob sie sich zum Bewerbungsgespräch mit dem Schulvorstand nach Peking aufmachen könne. Und das lief sogar noch besser.

Wir haben bereits für drei Jahre in Iran gelebt, dem Land mit den zweitmeisten Hinrichtungen. Wir wollen Superlative, da bietet es sich doch an, ein Level höher zu gehen. In China wird am allermeisten von Staats wegen gemordet, makabrerweise wird das unser nächster Auslandseinsatz.

Nachdem der Vertrag unterschrieben war, liefen die Nachrichten von Meldungen über Peking über: nichts, was uns erfreute – von der nicht vorhandenen Luftqualität hatten wir schon gehört, aber die Werte sprengten alles bisher Dagewesene. Wenn Steffi jetzt vom Vertrag zurückträte, würde sie für 5 Jahre für den Auslandsdienst gesperrt werden. Also Atem anhalten, Augen zu und durch. Die Regierung hat aufgrund der Bürgerproteste drastische Maßnahmen zur Luftverbesserung angekündigt. Die Deutsche Schule verspricht den Einbau von wirkungsvollen Filteranlagen im Gebäude. Die Bauarbeiten gehen demnächst los. Nach einer langen Woche war die Wolke der Vergiftung nach Japan verduftet und alles im wahrsten Sinne weggeblasen. Aber uns ist klar, dass es wiederkommen wird und wir besser gute Feinstaubmasken im Gepäck haben werden.

Flughafen Beijing

Flughafen Beijing