Fliegende Teppiche

Die Projekttage unserer Schule liegen hinter uns: Zwei Tage Projekt, am dritten Tag, dem letzten Schultag vor den Nowruzferien, war vor dem Feuerspringen und dem Tanz ins Neue Persische Jahr 1389 die Präsentation der Projekte. Unser Motto war „Iran“.
Mein Projekt stand schon lange fest. „1001 Dromedar“ sollte es heißen – ein bisschen was über die Tiere, ihren Lebensraum, Karawansereien und die Seidenstraße. Ein bisschen basteln, ein bisschen malen, auch was essen, dazwischen lesen und schreiben. Fand ich echt prima und alle, mit denen ich gesprochen hatte, auch. Nur die Kinder waren offensichtlich anderer Meinung. Jedenfalls kam das Projekt nicht zu stande, und ich musste umsatteln. Ich verließ also mein stolzes Kamel und stieg auf einen fliegenden Teppich um.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich vor dem Projekt weder ein echtes Interesse für diese Art von Teppichen noch wirklich Ahnung davon hatte. Gelobt sei also wieder einmal mehr das Internet…
Das Highlight unseres Projektes war der Bazarbesuch – auch für uns Erwachsene. Der Vater einer Schülerin ist Bazari auf dem „Bazar-e bozorg“, dem großen Bazar im Süden der Stadt, der mit 10 qkm überdachten Geschäften einer der größten des Nahen und Mittleren Ostens ist. Herr M. lud uns also zu einem Besuch im Bazar ein. Normalerweise ist der Bazar jeden Tag voll – denkt so ein ahnungsloser Europäer. Die Menschenfülle in den engen Gassen vor Nowruz – die Perser kaufen für das Neue Jahr sehr viel neu – ist unbeschreiblich. Damit uns keines der Kinder abhanden kam, heuerten wir zwei weitere Begleitpersonen an, der Bazari hatte auch noch einen Begleiter dabei und ohne unser Wissen schickte die Schule uns neben dem Busfahrer noch einen Arbeiter mit. Da kamen also 8 Erwachsene auf elf Kinder – was sollte da noch schief gehen??? – Von der Menschenfülle war nun ausgerechnet auf dem Teppichbazar nicht soviel zu spüren. Wer kann sich schon jedes Jahr einen handgeknüpften Perserteppich kaufen?
Und noch ein Schmankerl am Rande:
Noch bevor wir den Kindern oder sonst jemandem etwas über den Bazarbesuch erzählt hatten, sprach ich mit dem Vater des jüngsten Teilnehmers, um ihn zu beruhigen. Der Vater ist ein ehemaliger Teppichhändler. Er hat sein Geschäft auf dem großen Bazar schon vor vielen Jahren aufgegeben. Nachdem ich ihm alles erzählt und er geduldig zugehört hatte, sagte er: „Frau Quoß, das weiß ich doch schon längst.“ Offensichtlich hatte sich die Kunde vom Besuch der Deutschen Botschaftsschule auf dem Teppichbasar schneller verbreitet als ein Lauffeuer. Man sagt, auf dem Bazar werde Politik gemacht und auch die Revolution sei dort entschieden worden. Ich kann mir das gut vorstellen.Schon auf dem Weg zum Lager des Bazari gingen fielen uns die Augen aus dem Kopf:
Im Lager wurden wir mit Nushabe (Erfrischungsgetränk) und Shirinis (kleinen Kuchen) erwartet und konnten uns schon mal umschauen:
Bei dem Rundgang durch das Lager wurde schnell klar: Samoware und Teppiche gehören zusammen. Auch eine Glutschale für das Opiumpfeifchen durfte in früheren Zeiten nicht fehlen…
Heute liegt statt Letzterem auch schon mal ein handsignierter Fußball von Beckenbauer oder Mahdavikia dazwischen.Das Büro im Ladengeschäft des Herrn M. ist erstaunlich: Ein Schreibtisch, ein Schreibtischstuhl, eine kleine Sitzgruppe, ein Schrank (ca.1,20 m breit), ein Telefon, ein Fax, eine Schreibtischlampe – fertig. Da lagen kein Papier, kein Stift, keine Ablage für Notizen oder ähnliches rum. Einen Computer konnte ich auch nirgends entdecken. Ein Bazari, so wurde mir gesagt, habe alle Telefonnummern und sonstige Daten in seinem Kopf gespeichert – und darauf ist er stolz. Immerhin regelt er von diesem Platz sein gesamtes Exportgeschäft. Das sah für mein Auge wohl so unspektakulär aus, dass es davon kein Foto gibt. Von dem Büro im Lager gibt es allerdings ein Foto. Mich erinnerte dieses Raum allerdings mehr an den Verkaufsraum eines Museums:Dann ging es endlich los!
Das eigentliche Teppichknüpfen bekamen wir allerdings nicht zu sehen. Wir waren ja schließlich auf dem Bazar und nicht in der Manufaktur. Ein kluger Händler stellte allerdings diesen kleinen Knüpfstuhl vor seinem Laden auf, um seine Besucher die Kunst des Teppichküpfens zu veranschaulichen. Wer darüber mehr wissen will, googelt am besten unter „Orientteppiche“ oder „Perserteppiche“. Wikipedia gibt ausführlich Auskunft.
Unser erster Besuch galt einem Mann, der alten Teppichen neue Fransen verpasste. Der Ärmste sitzt den ganzen Tag im Keller bei Kunstlicht und friemelt vor sich hin. Wenigstens muss er im Sommer nicht schwitzen.
Andere haben es zur Zeit besser und sitzen im Dachgeschoss. Sie können diesem Teppichwäscher bei seiner Arbeit auf dem Dach zu sehen, wenn sie sich mal eine Pause gönnen.
Beeindruckend mit welchen Werkzeugen diese Kunstwerke gefertigt und repariert werden:
Wenn dem Teppich die Haare ausgehen, so lernte ich – und es leuchtet auch ein – dann fällt er auseinander. Weil das aber bei vielen älteren und damit auch den wertvolleren Teppichen der Fall ist, scheut man keine Mühe auch noch so zerfallene Teppiche wieder herzustellen. Beschädigte Stellen werden detailgetreu restauriert.
Dieser Teppich hier ist schon ziemlich mitgenommen. Hätte ich ihn auf einem Dachboden beim Entrümpeln gefunden, hätte er vermutlich ein anderes Schicksal gehabt. Zum Glück kam mir jemand zuvor und das wertvolle Stück wird nun aufwändig restauriert. Zur Zeit ist er auf eine hauchdünne Gaze aufgezogen.
Hier sitzt DER Restaurator von Indianerteppichen an seiner Arbeit. Die Hälfte des Teppichs fehlt und wird von ihm erneuert. Ich konnte es kaum glauben, aber man versicherte mir, dass er international gefragt ist und von überall aus der Welt Auftragsarbeiten in seine Werkstatt geschickt bekommt:
Immer, wenn er ein Stückchen voran gekommen ist, werden die Haare auf eine gleichmäßige Länge geschoren:
Er erklärte uns, wie man auch heute noch aus natürlichen Farbstoffen die Wolle oder Seide für den Flor des Teppichs einfärbt. Hier löst er die getrockneten Panzer von Schildäusen in Wasser auf:
Seit Mitte des 19.Jh. wurden in Persien zunehmend synthetische Farbstoffe zum Einfärben der Teppichgarne verwendet. Allerdings verblassten diese ersten synthetischen Farbstoffe schnell und die Schurwolle verfilzte leicht beim Färbevorgang, so dass die Nachfrage nach diesen Produkten wieder sank. In Persien wurden sie auf Befehl des Schahs 1900 verboten. Auch wenn sich die chemischen Farbstoffe seitdem deutlich verbessert haben, werden auch heute noch bei Woll- und Seidenteppichen überwiegend natürliche Farbstoffe verwendet.
Und nun doch noch ein „Mitschnitt“ aus dem Internet, weil mich dieses Thema so fasziniert:
Naturfarben
Die Färbekunst entwickelte sich mit der Knüpfkunst, sie geht auf jahrtausendalte, überlieferte Methoden zurück. Wolle und Seide für die Teppichherstellung werden vorzugsweise mit natürlichen Farbstoffen gefärbt. Die erreichbaren Färbungen sind nicht grell und schreiend, sondern fügen sich zu zarten und harmonischen Kombinationen. Ein häufiges Farbmittel für Rot und Rotbraun wird aus der der Wurzel der Färberkrapppflanze gewonnen. Purpurrot – „die Farbe der Könige“ – stammt aus dem Panzer der Schildlaus. Für Blau wird die Wurzel der Indigopflanze, für Gelb Gelbwurz, Curcuma, Kamille oder der Farbstoff der Granatapfelschalen. Grüne Töne lassen durch Überfärben von Indigo mit einem gelben Farbstoff erzeugen. Mit Indigo und Krapp färbt man violette und braunviolette Töne. Safran liefert einen gelborangen Farbton. Cochenille der Farblaus und Blauholz (Campecheholz) aus Amerika erreichten im 16. Jahrhundert den Orient.
Kleine Garnstränge für den Flor werden per Hand gefärbt. Jedes gefärbte Los der Wolle wird per Hand in den Teppich geknüpft. Beim nächsten Los der gefärbten Wolle ist eine Farbabweichung unvermeidlich – diese wird Abrasch genannt. Die Farbveränderung zeigt sich in horizontaler Richtung, also in Arbeitsrichtung.
Dieser Mann hatte den Auftrag, bei einem ausgeblichenen Teppich die Farben wieder aufzufrischen. Die teure Farbprobe auf dem Bild oben wurde gleich weitergereicht und der alte Teppich wird angemalt.
Zu guter Letzt gingen wir noch in die Spannerei. Hier werden alte oder gewaschene Teppiche in Form gebracht. Ein Teppich von 3×4 Meter ist in 5 Minuten gespannt, dann muss er einige Tage in dieser Lage verharren, damit er in seinem Format bleibt.
Und natürlich haben wir viele, viele Teppiche in den Verkaufsräumen unseres Bazaris gesehen. Die Kinder waren von den Seidenteppichen am stärksten beeindruckt. M. Legte sich auf einem nieder, streichelte und streichelte ihn und hauchte: „Ich bin im Paradies!“ Auch wenn ich nach diesem Rundgang näher an Teppiche rangerückt bin, ist das bestimmt eine ganz schön persische Sicht der Dinge.
Für die müden Besucher gab es zum Schluss Kabab satt am Sofre im Teppichlager. Persische Gastfreundschaft kennt keine Grenzen und so bekam jeder Besucher, weil er dem Bazari die Ehre gab ihn zu besuchen, zum Abschied noch einen kleinen Kelim als Geschenk!Im Übrigen habe ich keine Kinder auf dem Bazar arbeiten sehen. Die Frauen habe ich gezählt: Es waren sieben (abgesehen von uns). Die waren zum Einkaufen unterwegs… Teppiche sind eben Männersache – jedenfalls auf dem Bazar.

[Steffi]

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