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Zhen bu qiao – Pech gehabt!

In der letzten Zeit habe ich nicht viel geschrieben oder gezeigt; nicht, weil es nichts zu erzählen gäbe; das Gegenteil ist der Fall. Ich komme einfach nicht dazu und wenn, dann funktioniert irgendwas am Zugang zum Internet nicht richtig.
Jetzt also mal ein Update:
Wir haben ein klein bisschen was von einer Pechsträhne. Zunächst war Martje am Tag, an dem die Wunde der extrahierten 4 Weisheitszähne inspiziert wurde, von einem Dreiradfahrer (die Dinger mit Kabine) von hinten angefahren worden, so dass der Lenker verriss und sie über den Lenker kopeister ging. Der Kopf war zum Glück nicht betroffen und entgegen der landläufigen Meinung unter den Ausländern in China wurde ihr von verschiedenen Seiten in der Situation geholfen. Nicht von dem, der sie angefahren hatte – der war sofort weg. Leider war sie auf die Hand gefallen und hatte ein Prellung und Abschürfung und blaue Flecken.
Nach 3 Wochen war die Hand noch nicht wieder in Ordnung, so dass wir einen Spezialisten hinzuziehen wollten.
Wie es dann so kommt, war auch JanIngmar´s Handgelenk durch das verdammte Skaten in Mitleidenschaft gezogen worden. Also machten wir einen gemeinschaftlichen Termin bei dem hervorragenden Arzt Zhang JianXin in der Beijing United Family Klinik aus. Der stellte bei JanIngmar einen Bruch in der Wachstumsfuge fest und bei Martje eine Verletzung der Handseitenknochen. Also bei beiden Ruhigstellung und keinen Sport für 5 Wochen.
Hände
Was soll man mit dem Jungen bloß machen? Er hört ja nicht und lässt sich auch nicht bremsen. Er wollte nur seine Kumpels beim Skaten filmen, was sein neuestes Hobby ist. Also rollte er neben seine tricksenden Freunden nebenher, und das ging auch so lange gut, bis er an einem Loch im Boden hängenblieb und abspringen musste. Leider war eine Treppe dahinter und er landete auf der vorletzten von 6 Stufen, knickte um und hat jetzt den Ärger.
Als er nach Hause kam, war der Fuß doppelt so dick wie er gehört, und wir fuhren sofort in die Unfallklinik. Dort war im Röntgen nix zu sehen, aber im CT ein Abriss eines Knochenstücks, an dem ein Band festhängt, zu verzeichnen. Da es noch keine fertigen Knochen sind, kann man nicht nageln oder schrauben. Da die Schwellung zu groß ist, kann er keinen Gips bekommen. Das waren 4 harte Tage für ihn, im Bett zu liegen, ständig das Bein hochzulagern und das Haus nicht zu verlassen.
autsch
Am liebsten möchte ich die Kinder festbinden und in Watte einpacken. Vielleicht fang ich mal mit der Toilette an und polster die ab. Das nötige Zubehör finde ich ja auf jedem gängigen Straßenmarkt.
Markttag
Wenigstens auffällig und so für den Straßenverkehr sicherer machen könnten wir die Kinder, indem wir ihnen ein Hello-Kitty-Outfit verpassen. Dann frieren sie jetzt im Winter auch nicht so doll.
hello-kitty
Jetzt hat JI für die letzte Schulwoche einen Leihkrankenstuhl und rollt durch die Schulflure. Angeblich kann er schon auf zwei Rädern Balance halten…

Die Ausstellung in der DSP, bei der wir die Dienstleistungskräfte in Scene gesetzt hatten, war leider mit schlechtem Kleber aufgezogen worden und kam dem Betrachter zu sehr entgegen. Sprich, sie fielen von den Wänden. Daher wurde reklamiert und da nicht nachgeklebt werden konnte, musste neu gedruckt und mit besserem Kleber neu aufgezogen werden. Daher fand sich an einem Sonntag beim Müllhaufen dieses Knäuel aus Körperteilen.
Ausstellung
Mit größter Wahrscheinlichkeit sehe ich dieses Bild noch einmal, denn diesmal ist der Druck grottenschlecht und es muss noch einmal gedruckt und geklebt werden. Ich bin gespannt.

Erfreuliches gibt es aber auch zu berichten:
Solveigh ist Mitte November mit 8 anderen Turnerinnen als DSP-Team nach Shanghai geflogen (nobel geht die Welt zugrunde) und hat dort an einem Turnwettkampf teilgenommen. Da sie erst seit diesem Sommer wieder das Turnen trainiert, hat sie leider keine Platzierung errungen. Die chinesische Gegnerschaft war einfach zu stark. Aber dabei zu sein ist bekanntlich alles.

Meine Kollegin Claudia (Turn-Trainer-mäßig gesehen) hat dafür gesorgt, dass noch mehr Kinder auch in Beijing am vorigen Wochenende die Gelegenheit haben, sich mit anderen zu messen. Diesmal hat sich das harte Trainieren ausgezahlt und auch Solveigh konnte zwei Medaillen nach Hause tragen. Wobei ich sagen muss, dass ich eine solche Flut an Medaillen noch nie gesehen habe.
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Aber Solveigh war wirklich gut und hat die Plaketten voll verdient. Das Beste ist, dass die DSP zweimal Teamsieger war und damit alle Sieger waren.
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Turnwettkampf WAB (28)
Die Leistungen der anderen Turnerinnen war übrigens sehr hoch, manchmal konnte man seine Augen nicht von den Kunststücken abwenden. Daher werden wir in den nächsten Turnstunden an dem doppelten Flickflack mit anschließendem Rückwärtssalto arbeiten.
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Gestern nun wurde die Ausstellung der Fotos, die ich mit meinem chinesischen Fotografen-Freund HeYou fotografiert hatte, eröffnet. Das war ein Schulevent gewesen, der vom Goethe-Institut organisiert worden war. Im Juni hatte David Fermer, der im WDR eine kleine Kindersendung für Kinder macht, von einer Auswahl deutscher und chinesischer Schüler Handpuppen basteln und damit kleine Filme erstellen lassen. Gestern war nun die Zeremonie, bei der die Zusammenarbeit zwischen einer der renommiertesten chinesischen Schulen und der Deutschen Botschaftsschule besiegelt wurde.
RenDa
RenDa
So, das war ein erster Abriss der vergangenen Wochen. Es gibt natürlich noch mehr zu berichten.
Der Titel mit dem Pech stimmt nicht, schon alleine weil ich ein positiv denkender Mensch bin. Er ist natürlich gewählt, um möglichst viele Leute auf den Blogpost aufmerksam zu machen, denn nichts verkauft sich so gut wie schlechte Nachrichten. Uns allen weiterhin viel Glück! Und wenn ich es nicht mehr rechtzeitig schaffe, eine schöne Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins Jahr 2017!

Verkehrsgewohnheiten

Als ich noch jung in Hamburg lebte, bin ich meistens recht aggressiv Rad gefahren und ich bin froh, dass ich trotzdem vorsichtig genug war, um keine Unfälle zu erleiden. Ich weiß nicht, ob die Autofahrer damals auch aggressiver waren oder weniger mit Radfahrern rechneten, jedenfalls habe ich mich weit weniger häufig mit ihnen angelegt, nachdem ich Familienvater wurde.

Ich hatte eine Zeitlang diese blauen Aufkleber bei mir, die so schwer ab.ge.hen, wenn sie auf der Windschutzscheibe oder einem Seitenspiegel kleben: „Parke nicht auf unseren Wegen!“ Und ich hatte viele Gelegenheiten, diese zu verteilen. Für den Fall, dass ich von einem aufgebrachten Falschparker und Verkehrsvergeher zur Rede gestellt werden würde, hatte ich mir schon eine Strategie überlegt: Fall auf die Knie und rufe „Preiset den König der Straße!“ Dazu kam es nie, nur einmal war ich kurz davor, als mir eine Dame im Chanel-Kostüm wutentbrannt zurief: „Geben Sie mir Ihre Karte!“ Ich wusste zunächst nicht mal, was sie meinte. Als ich verstand, hatte ich keine Visitenkarte. Ich stand nicht so hoch in der Rangfolge, dass ich eine gebraucht hätte.

Hier in Beijing würde ich auch gern manchmal anhalten, vor dem Autofahrer auf die Knie fallen und den King of the Road anbeten, aber ich habe mir überlegt, eine andere Strategie zu fahren.

Das Problem ist, dass es viele Radspuren gibt, die man nicht mit den Autofahrern teilen muss. So die Theorie. In Wirklichkeit parken auch hier viele Autos auf den Radwegen, diesen kann man aber leicht ausweichen. Wenn jedoch ein Autofahrer rechts abbiegen muss, fährt er einfach auf die Radspur und schaut erst im letzten Moment, ob jemand seinen Weg kreuzt. Wenn das der Fall ist, fährt er trotzdem langsam weiter, bis er entweder weiterfährt, weil der Rangniedrigere angehalten hat, oder er wird langsamer und lässt den Bizyklisten durchhuschen. Im letzten Moment wird er das Risiko nicht eingehen, jemanden ins Krankenhaus zu befördern, aber wer weiß das schon so genau? Diese Sichtweise des Verkehrs, wenn alle ähnlich denken, führt zu einer dynamischen Fahrweise mit einem ins sportlich gehenden Fließen. Wenn man so wie ich als Radfahrer so schnell ist wie die Autos, kann das auch viel Spaß machen. Der Verkehr ist meist nicht sehr schnell. – Man kann sich auch bei jedem, der einem die Vorfahrt nimmt, aufregen. Ich will das nicht mehr.

Leider kommt es doch auch zu Unfällen zwischen den Zweiradfahrern und den Blechkistenlenkern. Eine Kollegin von Steffi wurde letztens angefahren, hatte sich noch schützend vor ihr teures Rad gequetscht und fand sich auf dem Asfalt wieder. Die Autofahrerin ließ die Scheibe herunter, zwitscherte „Sorry“ und fuhr weiter. Immerhin konnte sie zur Schule humpeln und sich erstmal auf die Krankenliege legen.

Die Gefahr für alle ist nämlich, dass sie dazu verdonnert werden, den Schaden zu bezahlen. Und zwar nicht nur die Schuldigen, sondern auch die Helfer, wie bei einem Unfall, der vor ein paar Jahren publik wurde: Eine Frau stolperte aus einem Bus, brach sich ein Bein. Ein Mitfahrer hielt, kümmerte sich um die Frau, brachte sie ins Krankenhaus und wartete, bis die Diagnose des Chirurgen getroffen war. Da die Familie der Frau die Krankenhauskosten nicht zahlen konnte, suchten sie jemand anderen mit Geld. Der Ersthelfer müsse ja doch Schuld gewesen sein, dass sie sich überhaupt verletzte, sonst hätte er doch nicht geholfen. Das ist die Einstellung, die noch aus Zeiten vom Großen Vorsitzenden herrührt, der den Chinesen das Mitleid gründlich abgewöhnt hat. Der Helfer wurde schließlich von einem Gericht dazu verurteilt, umgerechnet 4500 € zu begleichen, was ihn vielleicht nicht in den Ruin trieb, aber durchaus neun Monatslöhne betragen kann.

Als ich letztens im Carrefour einkaufen war, sah alles so still am Obststand aus. Leute  standen herum. Nach einiger Zeit wurde ich gewahr, dass schon länger eine Frau auf dem Steinfußboden lag, immerhin in stabiler Seitenlage, aber reglos. Blitzschnell ging mir diese Geschichte mit dem Helfer durch den Kopf und ich überlegte fieberhaft, was ich machen sollte. Ein Polizist und eine Frau mit Mobile am Ohr standen daneben und waren offensichtlich involviert, also ging ich mit schlechtem Gewissen meiner Wege. Ich hätte mangels genügend Sprachkenntnissen doch nicht helfen können. Oder? Sie lag bestimmt schon ein paar Minuten dort.

Eine Mitstudentin aus meinem Chinesischkurs hatte auch einen Kollision mit einem Auto. Dabei kam ihr eine Passantin zu Hilfe, die sie mehrere Stunden lang ins Krankenhaus begleitete und die natürlich nicht die Rechnung bezahlen musste.

Also ist es doch nicht so, dass das Helfen eigentlich abgeschafft ist? Immerhin ging ein Aufschrei durch die Nation, als ein kleines Mädchen 2011 von mehreren Lieferwagen überfahren wurde und kein Fahrer und auch kein Passant anhielt, bis nach 7 Minuten eine Müllsammlerin um Hilfe rief.