Wir wollen unseren 6 Besuchern ordentlich was zeigen. Eine Reise nach China ist nichts ohne ein Mauerbesuch. Daher habe ich am letzten Schultag vor den Osterferien noch schnell einen Schulbus gemietet. Um neun steht der 20-Sitzer vor unserer Haustür, und auch ZhiYi ist meiner Einladung gefolgt. Nur Steffi muss noch arbeiten, um entspannt in die Ferien zu gehen.
Wir haben in einem Wanderbuch eine Route von 9 km gefunden, die uns einen Großteil auf der Mauer entlang führen soll. Vier Stunden Wandern ist der Plan.
Dass der Busfahrer uns an einer anderen Stelle als im Buch beschrieben rauslässt, merken wir erst, als wir nach einer gemütlichen Kraxelei an der Mauer landen und es keinen Weg gibt, hochzukommen. JanIngmar ist der einzige, der sich nicht gleich abschrecken lässt von dem Bollwerk, das die Chinesen vor dem mongolischen Angriff schützen sollte. Er ist vorgelaufen und als wir um den nächsten Wachturm biegen, hängt er bereits 5 m über uns in der Wand. Auf diesen Moment hat er, glaube ich, nur gewartet, denn jeden Freitag übt er in der Kletter-AG. Dort ist er allerdings angeleint. Wir bekommen alle einen ziemlichen Schreck und zunächst kommt er auch auf unser aller Bitte wieder runter, aber an einer anderen Stelle entzieht er sich meiner väterlichen Befehle und verschwindet wie Peter Parker auf der anderen Seite der Mauer.
Ich bin natürlich auch ein bisschen stolz auf meinen furchtlosen Sohn. JanIngmar bringt uns durch seine Kletterei auf den Gedanken, es auch zu versuchen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Oben stellt er für uns fest, dass es recht weit keine Öffnung der Mauer gibt, also finden wir eine weniger hohe Stelle, an der genug Grifflöcher sind, um uns alle sicher hochzulotsen.
Ich klettere als zweiter und sichere unsere Sportler von oben. Ein vorbeikommender Chinese passt ein bisschen auf, dass ich dabei nicht runterfalle.
Hinterher sind alle stolz und ich muss mir anhören, ich hätte die Strecke absichtlich so gewählt. Stimmt aber nicht.
Wir verbringen ein paar Stunden auf diesem Abschnitt der Great Wall. Wir sind nämlich viel zu schnell in MuTianYu angekommen, wo uns der Schulbusfahrer wieder aufsammeln soll.
Der Abstieg wird zur Abfahrt, denn wir nehmen die Toboggan-Schlittenbahn. Das ist eine Sommerrodelbahn von 1,3 km Länge.
Irgendwo hab ich mal T-Shirts gesehen: „I climbed the Great Wall!“ Aber deren Träger sind gegen uns alle Warmduscher.