Wir sind…


Am 9. 2. 09 (21. 11. 1387) war der Abend vor dem 30. Jahrestag der Islamischen Revolution. Als ich um 21.00 durch die Straßen ging, standen überall Menschen auf den Dächern und riefen Allah-u-akhbar! Gott ist groß! In dieser dichtbesiedelten Stadt hatte ich das Gefühl , die ganze Stadt sei ein Chor, der es nur nicht schafft, im Gleichklang zu singen.
Es wurden die Autobahnen mit grünweißroten Fahnen geschmückt. Ansonsten scherten sich die Leute um die offiziellen Feierlichkeiten recht wenig.
Unser Freund F. berichtete, dass es einen iranischen Satellitensender gebe, der die Unzufriedenheit der Leute in Aktionen kanalisieren will: Die Bewegung gibt sich den Namen „ma hastim“, was „wir sind!“ bedeutet, ähnlich dem Slogan in der DDR „Wir sind das Volk“. Eine Aktion war, dass zu Demonstrationen auf islamischen Märyrerfriedhöfen aufgerufen wurde, bei denen die Gefahr der Verhaftung klein ist, weil man ja schlecht die Heldenverehrung verbieten kann. Trotzdem wurden angeblich Hunderte Leute gefangengenommen, von denen etliche nicht wieder auftauchten.
Deshalb findet jetzt eine andere Aktion statt: Alle, die mitmachen wollen, gehen um 5:00 Uhr zum Bäcker und kaufen Brot. Dagegen kann ja der Staat nichts machen.
Der religiöse Führer benutzte bei seiner Ansprache zum Feiertag auch den völlig üblichen Ausdruck „ma hastim“, wobei alle, die Bescheid wissen, sagen: Siehst du, sogar unser Führer spricht schon davon.
Die Menschen sind sehr unzufrieden mit der derzeitigen Situation, aber viele sagen sich auch, wozu noch eine Revolution, wo es nach der letzten schon nicht besser geworden ist? Aber in der DDR gings ja auch ganz schnell…

Nachtrag zu der Skiwoche, auf der Martje mit dem größeren Teil der Schule war:
Martje ist die auf der rechten Seite, die in rosa. Wir wollten eigentlich vor der Reise mit ihr zum Arzt gehen, weil sie wiederkehrend mal mehr und mal weniger Schmerzen in ihrem Zeh spürte, den sie vor Wochen umgeknickt hatte. Bloß hätte das u.U. dazu geführt, dass sie nicht hätte mitfahren können. Heute waren wir also zum Röntgen (das 2. Mal in Iran), diesmal war es tatsächlich ein Bruch, am großen Onkel. Der wird jetzt mit Gips ruhiggestellt. In 2-3 Wochen soll dann alles wieder gut sein.

Und noch ein Bild vom Abend vorher, wo wir mal alle zu sehen sind. Es ist bei Freunden in Karaj, einer riesigen Trabantenstadt im Westen von Teheran. S. fährt von Karaj jeden Tag 75 km nach THR zur Arbeit und abends wieder zurück. Das Gehalt wird, wenn es gezahlt werden kann, mit 3 Monaten Verspätung gezahlt. Für ihren Sohn geben sie alles, um ihm eine anständige Schulbildung zu ermöglichen, die ihm auch im Ausland eine gute Grundlage schaffen kann. Dafür nimmt S. jeden morgen Pendler mit, die als Fahrpreis zusammen vielleicht umgerechnet 4 € in die Kasse bringen. Ich weiß nicht, wie sie es schaffen, mit weniger als einem Drittel von dem, was uns zur Verfügung steht, zu überleben. Und wir müssen noch nicht mal die Wohnung selbst bezahlen…
Der Zusammenhalt in der Familie macht vieles wieder wett, und das ist das, was sie abhält, das Land zu verlassen, wenn sie es zusammen könnten.
Wir können inzwischen verstehen, warum die Iraner ihr Land gern verlassen würden, aber auch, was sie so sehr hier lieben.

Sicher nicht das, was zu solchen Merkwürdigkeiten führt:
Ein Prospekt aus dem Büro über Badewannen bestand aus etlichen Bildern, in denen jemand sich die Mühe gemacht hat, sämtliche unzüchtigen Körperteile mit schwer entfernbarer Klebefolie zu verdecken. So ganz regierungskonform war er allerdings doch nicht – der Hejab, das Kopftuch fehlt. [Jochen]

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