Man kriegt ´ne Tüte

Unser Supermarkt: Meistens ist Mehdi da.
Er kann ein paar Worte Englisch, die Zahlen natürlich, aber auch soviel, dass man sich über die notwendigsten Dinge unterhalten kann. Und er hat sich recht schnell die Namen unserer Kinder gemerkt.
Es ist kaum zu glauben, wieviele Höflichkeitsfloskeln im Persischen verwendet werden. Allein dafür braucht man schon etwas Zeit, wenn man sich darauf einlässt:
Das Betreten eines Geschäfts läuft normalerweise so ab (Ich übersetze das mal sinngemäß):
Salaam! Hallo/Guten Tag – Salaam! Chaste nabaashid! Sie mögen nicht müde werden!
Wie geht es ihrer Gesundheit? Geht es gut? – Danke, mir geht es gut. Und Ihnen? Gute Gesundheit haben Sie? – Dankbar bin ich, es geht gut, vielen Dank.
Es ist völlig egal, ob man den Anderen kennt oder nicht, auch, ob man vor zehn Minuten schon mal im Laden war und die Prozedur schon mal durchgekaut hat: immer wird nach der Gesundheit gefragt (und die der Chanom – der Frau und kodja bacce hastand? – wo sind die Kinder? gehts ihnen gut?) Ein schöner Brauch, den wir in Deutschland kaum kennen.
Beim Bezahlen sagt der Verkäufer: „Ghabeli nadaare – Es ist nichts wert, (ich schenks dir).“ – „Nein, bitte, wieviel? “ – „5000 Toman.“ Dann sagt man: „Ihre (Deine) Hände mögen niemals schmerzen.“ (unter anderem der Titel von dem Buch unserer Bekannten Bruni Prasske)
Und beim Rausgehen „Choda Haafez“ -„Gott beschütze Dich/Sie“
Natürlich sind es inzwischen Floskeln, die manchmal auch nur so dahingerotzt werden, trotzdem bedeutet es genau das, was man dem Andern wünscht.

Mehdi ist nie allein im Laden, der bis in die hinterste Ecke vollgestopft ist, es steht immer noch jemand herum, der einem die Sachen abnimmt, und auf den Tresen legt. Oder was aus dem nicht sichtbaren Teil des Ladens holt. Der fährt auch Motorrad und bringt einem die Sachen nach Hause. Im Keller gibt es auch immer noch Platz, der durch einen kleinen Lastenaufzug angefahren werden kann.
Manche Läden sind wirklich nur sichtbare 5 Quadratmeter groß, trotzdem kann man sie als vollwertige Supermärkte bezeichnen. So waren die Läden früher in D auch. Na ja, die Türken oder Chinesen haben auch manchmal so eine Ausstattung.
Und wenn man alles hat, wird es eingepackt, alles in „Pelastik“.
Am Anfang hab ich mal versucht, alles ohne Tüte in meinen Rucksack zu verstauen. Ich wurde mitleidig angekuckt und gefragt: „Warum?“ – Jetzt lass ich mir ne Tüte geben (brauchen wir sowieso für den Müll, der jeden Abend um ca. halb zehn vom Hausmeister an unserer Wohnungstür abgeholt wird – wenn wir ihn nicht rausstellen, klingelt er.)
Draußen auf der Straße kommt dann alles in den Rucksack.

Heute gab es Zeugnisse, die Kinder haben sich richtiggehend drauf gefreut. Sie waren aber auch dementsprechend.
Nur Steffi hat die Grippe erwischt und sie konnte die Zeugnisse nicht selber ausgeben.

Gestern hab ich, auch um die kranke Steffi zu entlasten, einen Ausflug mit JanIngmar und Solveigh in den Keyboardbaazaar gemacht. Erklärtes Ziel: den Missstand mit unserem Flügel an der Heizung zu beseitigen. Mit Bus und Metro hin, es dauert min. `ne Stunde.
Als wir aus der Metro gingen, kuckte einer so hilfsbereit und ich fragte ihn nach dem Namen der betreffenden Straße. Es stellte sich raus, dass er auch dorthin wollte, und dass er etwas Englisch kann, und dass er Geigenlehrer sei, also halbwegs vom Fach. „I show you the way!“
Na gut, dackelten wir hinterher.
In einen Bus einsteigen, er vorher noch zum Busticketverkauf (obwohl ich Tickets hatte) und welche für uns alle gekauft. Er wollte auch keine wieder haben, „No, you are guests in my country, so I invite you.“ Was soll man da sagen außer „Cheili mamnun“?
Er führte uns noch in einen Seitenbaazaar, der Keyboards hat, wo wir etwas dumm auf die Geräte kuckten, dann fiel ihm der Laden eines Freundes ein. War nicht weit. Und gleich das
erste Gerät machte den besten Eindruck, den ich bei meinen Recherchen bisher hatte. Man
kanns nur nicht gleich bezahen und dann mitnehmen: Erst wird das originalverpackte Stück ausgepackt, gezeigt, dass es keine Macken hat, alles wieder fein säuberlich eingepackt, die Kinder fotografiert. Inzwischen ist der Laden voll. Dann bezahlen: 450T (Tausend-Toman) kostet es eigentlich, aber Freunde von Abbas bezahlen 400T. Ich hab nachher gar nichts mehr gemacht, es kam noch als Geschenk ein Pedal obendrauf, dann kostete es 390T, und als wir gingen, kriegte ich nochmal 10T zurück.Abbas trug uns das Riesen-Ding über die Straße, musste noch seine Erledigung machen, und bestand darauf, uns nach Hause zu bringen. So billig hätte ich das Taxi nie bekommen. Fast
eineinhalb Stunden saßen wir im Verkehr, bis wir 600 m vor zu Hause liegenblieben. Ich wollte schon den Rest des Weges schleppen, aber der Taxifahrer wollte davon nichts wissen, holte Eimer und Schlauch und Schraubenzieher aus dem Kofferraum, um dann Schläuche zu lösen, einen halben Liter Benzin abzulassen, alles wieder festzumachen und das Benzin auf den Gehsteig zu kippen. Mach das mal in D auf ner vielbefahrenen Geschäftsstraße…

Abbas kam dann doch noch mit rauf, wo er eine Klavierviertelstunde gab und sich schließlich weigerte, das ihm angebotene Taxigeld anzunehmen, das ihn wieder dahin bringen sollte, wo er uns vor 3 Stunden nah von seinem zu Hause aufgegabelt hat.
Jetzt stelle sich mal einer einen Deutschen in D vor, der einem Schwarzhaarigen oder -häutigen diese Freundlichkeit erweist.

Vor ein paar Tagen haben sie unsere Moschee untergraben (hoffentlich gehts gut), dabei die Mauer auf den Gehsteig gekippt, so dass man nicht anders konnte als mühsam drübersteigen. Am nächsten Tag war das Gitter rausgeflext, und so hingestellt, dass man durchs Blumenbeet oder direkt auf der Autobahn marschieren konnte oder vielmehr musste.

Die Temperaturen sind fast frühlingshaft, es riecht außer nach Benzin auch danach.
[Jochen]

DSL ready

Heute ist der Tag, an dem wir jubelten, weil wir aus der Internetdiaspora herauskatapultiert wurden. Ein Techniker kam, pünktlich, hatte das Passwort dabei und machte unsere Rechner ADSL-fertig. Die Verbindung ist zwar noch nicht superschnell, aber immerhin 320 kbs her und 128 kbs hin. Damit kann man schon über Skype ganz gut telefonieren.
Und weil das mit den Dateien auch etwas mehr Spaß macht, lad ich gleich mal ein paar hoch, die etwas typisch Teheranisches zeigen.
Dies ist einfach typisch Iran – mit dem Mangel leben, so wie es auch in der DDR gewesen sein muss:
Man weiß sich einfach in jeder Situation zu helfen, woraus Bälle und Schläger sind, weiß ich allerdings nicht 😉

Keine Angst, dies ist ein Parkstreifen. Aber ich bin sicher, so kann der LKW noch lange fahren. Das Reserverad muss geschont werden. Oft sehen wir Stoßstangen, an denen noch die blaue Plastikverhüllung des Chroms klebt, oder das Plastik der Sitzbezüge wird erst nach Jahren abgemacht. Wo sonst so viel kaputt geht, muss manches eben stellvertretend schöngehalten werden.

Der Park in der Nähe, zu dem wir manchmal einen Fußmarsch machen (2km den Berg hoch), unterwegs ein Blick, der allein den Ausflug lohnt:


In einer „modernen“ Einkaufsstraße ist ein altes Gebäude standhaft geblieben.
Und hierhin führt uns der Weg am Wochenende, raus nach Südosten zwischen Karaj und Tehran liegt der Ponyhof. Die Kinder kriegen prima Reitunterricht und lernen Englisch und Farssi als Beigabe.
A. hat ein Eselchen vor dem Verdursten gerettet und sich mit dem Kauf einen Kindheitstraum erfüllt. Weil es aus Lorestan kommt, heißt es Lori. Alle Kinder schmusen gern mit ihm. Esel sind ja echt spezielle Tiere, aber ich muss sagen, für die Kinder ist es einfach toll.
Das mit Lori ist aber eine eigene Geschichte, da muss ich noch mal fragen, ob ich darüber schreiben darf.
Überhaupt lernen unsere Kleinen so viel: auch Klavierunterricht gehört dazu. Und nicht, dass falsche Vorstellungen aufkommen: Talent will gefördert werden, also muss das schon auf einem Steinway-Flügel sein.

Leider reicht unser Budget nicht dazu, in unserem Luxusappartment (in dem sich die nächsten Bauschäden bereits bemerkbar machen) auch so einen Kasten hinzustellen. Aber für die kleine Variante reicht es schon…

Teppich und Taorouf


Gestern haben wir leihweise einen Teppich bekommen, von Leuten, die wir eigentlich nicht kennen, die aber von uns durch unsere Kontaktvermittlerin A. Kenntnis erlangten. Man muss sich wundern, wieviel Perser es gibt, die Deutsch sprechen, ohne je in D gewesen zu sein. N. und Kh. und ihr Sohn sind solche Menschen. Sie riefen heute an und luden sich bei uns zu Besuch und als sie feststellten, dass sie uns bei der Teppichbeschaffung helfen könnten, boten Sie uns gleich ihren im Schrank liegenden Teppich an.
Ich würde das vielleicht auch tun, trotzdem hat es uns in Bedrängnis gebracht, weil es im Iranischen eine Eigenart gibt, die den Deutschen nicht bekannt ist: Taorouf. So nennt man das Höflichsein um des Höflichseins willen. Es fängt mit einer Straßenbekanntschaft an, mit der man sich zum Beispiel 5 min. unterhält, und kurz vorm Abschied lädt sie einen zum Abendessen bei sich zu Hause ein. Normalerweise nennt man so etwas Taorouf.
Das Gegenüber sagt ab, weil er schon was vor habe. – Nein wirklich, man habe schon etwas vorgekocht, es wäre gar keine Mühe. – Dann gebietet das Spielchen, noch einmal abzulehnen (gegessen habe man grade eben erst am Kabbabi oder Sandwich-Takeaway). Danach wiederholt der Einladende sein Angebot vielleicht; dann hat er´s ernst gemeint und man darf annehmen.

Die Horrorsituation wäre, dass man sagt: „Hast du aber einen schönen Teppich!“ Dann gebietet Taorouf, dass der Teppichbesitzer den Teppich zum Geschenk anbietet. Nähme man an, wäre die Katastrophe da: Der Teppichbesitzer müsste seinen einzigen Teppich hergeben, und der Beschenkte hätte einen Todfeind oder wenigstens einen Den-mag-ich-nicht-mehr.
Es ist ein traditionelles Spiel mit Worten, das vermutlich dazu da ist, den Rang oder die Größe der Freundschaft zu bemessen. Wir versuchen wenigstens dies Spiel mitzuspielen. Vielleicht haben wir es schon mal verloren, ohne es zu merken.

Oft ist man kurz davor, etwas anzunehmen, und denkt, man könne gleich nett essen und Kontakt zu Einheimischen haben, da kommt diese entscheidende letzte Einladung nicht und man weiß, dass man wieder zu deutsch gedacht hat.
Als Ausländer haben wir aber auch etwas Narrenfreiheit, weil die meisten Perser wissen, dass wir nicht so gestrickt sind.

Wir kommen gewöhnlich aus dieser Situation raus, indem wir direkt fragen, ob es denn kein Taorouf wäre. Und schätzen dann ab. Diesmal schätzten wir auf Teppichleihgabe. Vielen herzlichen Dank! Cheyli Mamnun! Wir werden ihn pfleglich behandeln.